Romeo und Julia, ein Märchen für junge Erwachsene

Folge 1


Am Samstag beim antifaschistischen Abendspaziergang lernen sich Julia und Romeo kennen. Ihr gefällt dieser sportliche Typ und wie er zielgenau die Steine wirft, hat sie tief beeindruckt. Als sie sich vor der Polizei in einem Hinterhof verstecken, kommen sie sich beim Joint rauchen näher. Sie erzählt ihm von einem verwunschen Platz im Wald wo es viele Pilze gibt. Sie beschliessen den Sonntag gemeinsam zu verbringen und Julia führt Romeo zu den Pilzen. Eine Waldhütte mit einer Feuerstelle befindet sich dort. Daneben sprudelt Wasser aus einer Quelle und ergiesst sich in einen kleinen Tümpel, ein romantisches Liebesnest. Der Sonntag verspricht ein schöner Tag zu werden. Sie vergnügen sich, kochen und essen die Pilze. Die Luft wird schwül warm. Schweissperlen bilden sich auf ihrer Haut. Mal dehnt sich die Hütte in die Länge, mal in die Breite. Sie verfallen in einen bleiernen Schlaf. Als sie aufwachen ist die Hütte verschwunden. Um sie herum stehen rote und blaue Fichten. Ratlos stehen sie da und wissen nicht in welche Richtung sie gehen sollen. Julia zählt die Knöpfe ihrer Bluse ab: links, rechts, vorwärts, rückwärts, links, rechts, zählt sie beim letzten Knopf. Also gehen sie nach rechts. Zwischen den roten und blauen Tannen stehen Birn- und Apfelbäumen mit Früchten so gross wie Medizinbälle. Ein sanfter Wind streift durch den Wald und lässt die Äste leise schwingen. Auch die riesigen Früchte setzen sich in Bewegung. Bumm, bumm, bumm bumm läuten die Birnen; World Trade Center antworten die Äpfel; bumm, bumm, bumm, bumm, bumm läuten die Birnen, Bin Laden antworten die Äpfel; bumm bumm bumm bumm World Trade Center, bumm bumm bumm bumm bumm Bin Laden tönt es. Abrupt wechselt die Stimmung und die Äpfel beginnen mit „Bruder Jakob, Bruder Jakob schläfst du noch? Hörst du nicht die Glocken, hörst du nicht die Glocken, bim bam bum“ und die Birnen beginnen bei „hörst du nicht...“ ebenfalls mit „Bruder Jakob, Bruder Jakob schläftst du noch“ und stimmen so in den Kanon ein. Dazu kommen die Dotterblumen mit ihrer Bassstimme, die wilden Orchideen mit ihren hellen Knabenstimmen. Sie steigern den Gesang bis zu einem Jubelgeschrei. Dann ist es still. Aufmerksam beginnt Julia zu lauschen. „Hörst du nicht das Rascheln der Blätter und knacken der Äste? Da kommt jemand.“ „ Den können wir nach dem Weg fragen“. Ein Bär steht vor Ihnen. „ Hmm ihr riecht gut!“ Die Beiden sind starr vor Schreck. „Nach Haschisch. Habt ihr einen Joint für mich?“ „Wir haben Ebbe.“ „Ich weiss einen Ort, da gibt es welchen und in rauen Mengen. Hilft ihr mir beim Pflücken? Ich kann das nicht so gut mit meinen Pfoten.“ Der Bär führt sie auf eine Waldlichtung. Da stehen Sträucher mit grossen gelben Blätter die aussehen wie riesige Ohren und dicht mit Früchten behangen. „Das sind ja Joint, fix fertig gedreht, die müssen wir nur noch pflücken“ Ruft Romeo entzückt. „Wie im Paradies“ haucht sie. „Dahin ist noch ein weiter Weg“ meint der Bär. Sie füllen die Höhle des Bären mit Joint und auch ihre Taschen. „Ich gehe Lachs fangen für heute Abend. Ihr seit herzlich eingeladen!“ Inzwischen macht Romeo ein Feuer vor dem Höhleneingang. Gemeinsam braten sie die Fische und verbringen einen gemütlichen Abend. „Woher kommt ihr“ möchte der Bär wissen.“ „Aus Zürich.“ „Was ist das?“ „Eine Stadt in der Schweiz.“ Was ist eine Stadt?“ „Da hat es viele Häuser und Menschen.“ Ach so wie Neu Jerusalem, da hat es auch viele Häuser und Menschen und einige haben Flügel auf dem Rücken“ meint der Bär. „Kannst du uns den Weg zeigen wir wollen nach Hause.“ Schlaft erst mal tüchtig aus, Morgen sehen wir weiter. Am nächsten Morgen führt der Bär die beiden zu einem Wegweiser. Darauf ist zu lesen:Turicum und siebzehnmillionenfünfhundertzwanzig-

tausend Stunden. „Das ist sicher der Ort wo ihr hin wollt. Es tönt ähnlich wie Zürich.“ „Da sind wir längst bleich und tot. Diese Stadt werden wir niemals erreichen“ stöhnt Julia. „Kopf hoch, ihr habt ja junge starke Beine“ muntert der Bär sie auf.


Wo befinden sie sich? Werden Sie diese Stadt lebendig erreichen oder werden sie den Weg nach Hause finden?

Folge 2


Was bisher geschah: Romeo und Julia haben im Wald Pilze gegessen und sind danach in einen tiefen Schlaf versunken. In einem Wald mit roten und blauen Fichten sind sie aufgewacht und haben die Bekanntschaft mit einem Bären gemacht. Er hat ihnen den Weg nach Turicum gezeigt.


Immer steiler steigt der Weg an, bis sie an eine Gabelung kommen. Der Weg rechts führt wieder bergab, links zu einer Felswand. Er hätte Lust auf eine Kletterpartie, sie würde lieber den bequemen Weg bergab wählen. Wie sie so streiten, beginnt ein riesiger Stein, der aussieht wie ein Pilz, zu sprechen: „Der rechte Weg ist der Weg des Laster und der linke ist der Weg der Tugend. Zweiundsiebzig Jungfrauen warten auf dich mit grossen festen Brüsten und Backen so straff und glatt, dass sich darin dein Gesicht spiegelt.“ Und ich“ ruft Julia. „ Du wirst zur ewigen Jungfrau“ verkündet der Pilzstein. „Pfui Teufel“ ruft sie aus. „Wir gehen nach links“ beschliesst Romeo. „ Ich will nicht! “Wir gehen nach links, komm schon!“ Nach der anstrengenden Kletterpartie führt sie der Weg in ein liebliches Tal. Am Ende hört der Weg auf. Steile Felswände begrenzen das Tal auf drei Seiten. „Wir kehren um und nehmen doch den Weg des Lasters“ schlägt Julia vor. Doch als sie sich umdrehen steht vor ihnen ein schneeweisser Cadillac und da daneben ein Chauffeur in einem weissen Frack. Die Hecktüren stehen offen. „Bitte einsteigen meine Herrschaften“ ruft der Chauffeur ihnen zu. Sie lassen sich in die weissen Ledersessel fallen. „Wohin bringen sie uns“ fragt Julia schüchtern. „Nach Hause“ antwortet der Fahrer. Der Motor heult auf und sie rasen auf die Felswand zu. „Jesses Maria“ entfährt esJulia in panischer Angst. Beide schliessen die Augen vor dem drohenden Unheil. Sie spüren eine ganz leichte Erschütterung und der Motor summt gleichmässig vor sich hin. Jetzt ist im Fahrzeug keine Bewegung wahrnehmbar. Es ist so als würde es stillstehen. Als sie die Augen wieder öffnen sehen sie durch die Glasscheiben nur ein milchiges Weiss. Plötzlich ertönt Ölalarm und es beginnt nach Verbranntem zu riechen. „Wir müssen sofort anhalten“ sagt der Fahrer. Sie stehen mitten in einem Olivenhain. Der Fahrer steigt aus, öffnet den Deckel über dem Motor. In der Zwischenzeit steigen die beiden, um die Füsse zu vertreten, ebenfalls aus. „Sie mal“ ruft Romeo entzückt aus. Der Hain wird von zwei Bächlein durchschnitten. In einem fliesst Honig und im anderen Milch. Die Luft ist geschwängert mit dem Duft von Thymian und Rosmarin. Julia berührt ein Olivenblatt. „Die sind ja weicher wie Seide!“ Die Beiden kommen nicht aus dem Staunen heraus. Der Fahrer ruft ihnen zu: „Wir haben einen Motorschaden. Wegen Ölmangel sitzt die Welle im Zylinderkopf fest. Ich muss den Pannendienst anrufen. Das kann dauern. Am Besten ihr geht zu Fuss weiter, immer gerade aus. Es ist nicht mehr weit!“


Was ist nicht mehr weit? Was meint dieser seltsame Chauffeur mit „zu Hause“?

Folge 3


Was bisher geschah: Romeo und Julia sind in den Wald Pilze essen gegangen und in einem Fichtenwald mit roten und blauen Bäumen aufgewacht. Ein Bär hat ihnen den Weg nach Turicum gezeigt und mit einem weissen Cadillac sind sie in einen Olivenhain gelangt.


Sie schreiten durch einen Pinienwald. Am Wegrand links und rechts steht der Lavendel in voller Blüte. Am Ende des Pinienwaldes stossen sie auf eine Mauer. Das Tor steht weit offen. Vor ihnen breitet sich ein prächtiger Park aus. Auf einem Teich tummeln sich weisse und schwarze Schwäne. Seerosen mit roten Blüten schwimmen auf dem Wasser. Palmen spenden Schatten. Sie hören das fröhliche Lachen und Schwatzen junger Frauenstimmen. Plötzlich teilt sich das Schilf das am Teichrand wächst und eine Schar junger Frauen und Mädchen eilt ihnen entgegen. „Wir haben Besuch“ ruft eine „und eine neue Schwester“ eine andere. Schon zerren sie die Beiden durch das Tor. „Es ist heute so schönes Wetter, wir fahren ans Meer. Die anderen warten schon auf uns.“ Sie führen Romeo und Julia durch den Park zu den Wartenden. Eine Schar Mädchen und ebenso viele junge Männer stehen mit ihren Fahrräder bereit. Auf die Gepäckträger haben sie Picknickkörbe geklemmt, auf zwei Anhänger türmen sich Surfbretter und Fussbälle. „Wir machen ein Grümpelturnier, Frauen gegen Männer“ erklärt die mit den pechschwarzen Haaren und ihre langen Zöpfe wippen fröhlich hin und her. „ Es gewinnen immer die Frauen“ fügt sie noch hinzu. Sie fahren auf einer Landstrasse, vorbei an griechischen Tempel, an blühendem Jasmin, mit Efeu bewachsenen Burgen und Schlösser. In der Ferne tauchen Sanddünen auf und die Luft riecht nach Salzwasser. „Hinter diesen Dünen hat es einen weiten Strand mit weichem Sand“ erklärt die mit den fröhlichen Zöpfen Romeo. Als sie die Dünen erklimmen erblickt Romeo die mächtigen Wellen, die gegen das Ufer branden. „Die wären ideal zum Wellenreiten“ sagt Romeo zu derjenigen mit den fröhlichen Zöpfen. „Wie heisst du“ möchte er wissen, „Lilith“ antwortet sie. Die beiden verbringen den Tag mit Surfen. Heute bricht die ganze Schar früher auf als üblich, denn am Abend findet ein Fest statt. Als sie zu Hause angekommen sind werden Romeo und Julia zur Reinigung in ein Hammam geführt und erhalten eine Massage mit kostbaren und duftenden Ölen. Mit goldseidenen Gewänder bekleidet verlassen sie das Dampfbad. Romeo staunt nicht schlecht als er wieder auf Julia trift. Ihre Haut ist spiegelglatt. Die Glocke ertönt zum Festbeginn und die ganze Schar begibt sich in einen grossen Saal. Die Decke wird won kristallenen Säulen getragen in denen sich das Kerzenlicht tausendfach spiegelt und dadurch der ganze Saal taghell beleuchtet wird. Und an der Wand ist ein grosses Gemälde, so konzipiert als würde der Saal sich weiter ausdehnen. Darauf ist Jesus und links und rechts seine Jünger zu sehen. „Das ist sicher eine Kopie“ meint Romeo. „Nein dieses Gemälde ist echt, und heute Abend ist die Einweihung oder Vernissage für dieses Werk“ korrigiert ihn ein daneben stehendes Mädchen. Alle nehmen Platz. An der Mitte der Tafel ist noch ein Platz leer und daneben sitzt ein bärtiger Mann. Da stürmt der Colonel herein und ruft: „Entschuldigt meine Verspätung, ich hatte einen anstrengenden Tag. Ich habe soeben einen notorischen Säufer zu einem gottesfürchtigen und disziplinierten Menschen bekehrt.“ „Wer sind die“ fragen Romeo und Julia. „Das ist unser Chef und Leonardo“ antwortet eine der Nachbarinnen. „Was macht euer Chef genau“ möchten die beiden wissen. „ Er erteilt unten auf der Erde Unterricht.“ Knaben so schön wie Perlen eilen in den Saal und füllen die kristallenen Gläser mit Wein. Da erhebt sich Lilith und bittet die Anwesenden um ihre Aufmerksamkeit.

„ Wir weihen heute eines der bedeutendsten Kunstwerke der Menschheitsgeschichte ein. Das Werk ist in einer Zeit des Aufbruchs und der Vernunft entstanden. In einer Zeit, da es die Menschheit nach Wissen gedürstet hat. Eine der Qualitäten des Werkes besteht darin, dass es auf hervorragende Weise die Wissenschaft mit der göttlichen Harmonie verbindet. Seine Botschaft ist in der heutigen Zeit aktueller den je. Wir können täglich an dem anschwellenden Strom von Helden, die bei uns um Einlass begehren den jämmerlichen Zustand, der auf der Erde herrscht, ablesen. Wie es scheint, ist auch für die Zukunft keine Besserung in Sicht. Trotz wiederholter Aufforderung an den Allmächtigen, doch endlich beherzt einzugreifen, ist nichts geschehen. Es scheint so, als hätte ihn seit der Erschaffung des Menschen jeglichen Mut und Risikofreudigkeit verlassen. Um so wichtiger sind Werke wie das „Abendmahl“, die als Hoffnung für eine bessere Zukunft stehen“. Nach dem Applaus der Gesellschaft erhebt sich Leonardo sichtlich gerührt und und mit Tränen in den Augen und beginnt nun seinerseits zu sprechen: „ Meine werten Anwesenden, hoch verehrter Colonel. Es ist für mich eine grosse Ehre und Auszeichnung, dass ich eines meiner wichtigsten Werke hier noch einmal ausführen durfte. Für die unendliche Grosszügigkeit des Colonel und die grosszügige Gastfreundschaft möchte ich mich bei allen Anwesenden herzlich bedanken.“ Tosender Applaus erklingt im Saal. Bei dieser Gelegenheit flüstert Romeo seiner Nachbarin zu: „Warum hat der keine Partnerin?“ „Er ist schwul und bevorzugt lieber unsere Diamantjungen.“ Leonardo fährt fort: „Wie schon meine verehrte Vorrednerin darauf hingewiesen hat, herrschen auf der Erde schreckliche Zeiten und was sich in Palmyra ereignet hat, könnte sich auch einmal in Italien ereignen.“ Da ruft Aischa dazwischen: „Das war ein unerlässliches Opfer für eine bessere Welt!“ „Sei still du kleines Biest“ zischt Lilith sie an. Leonardo fährt fort: „Ihr habt es mir ermöglicht, eines meiner Werke für die Nachwelt zu erhalten falls auch in Italien sich solche schrecklichen Dinge ereignen. So kann das „Abendmahl“ von hier aus im ganzen Kosmos für alle Ewigkeit seine segnende Wirkung entfalten. Ich danke allen dafür.“ Die Knaben beginnen die Speisen aufzutragen.


Werden Romeo und Julia hier einen angenehmen Aufenthalt erleben oder werden sie sich nach dem früheren Leben zurück sehnen? Mehr erfahren sie in der Folge 4.

Folge 4


Was bisher geschah: Nach dem Genuss von Pilzen sind sie in einem Wald mit roten und blauen Fichten aufgewacht. Ein freundlicher Bär hat ihnen den Weg nach Turicum gezeigt und mit einem weissen Cadillac erreichen sie den Palast des Colonel. Sie sind von seinem Harem freundlich aufgenommen worden.


Julia sucht sich einen neuen „Lover“. Eva begleitet sie auf dem Weg zum Aufnahmecenter. Sie kommen an einem Grenzzaun vorbei. Auf der anderen Seite sieht Julia einen wunderschönen splitternackten Mann stehen. „Den möchte ich haben“ ruft sie aus. „Das geht nicht“ wendet Eva ein. „Warum nicht?“ „Das ist mein „Ex“, der darf nicht rein. Er weigert sich standhaft von den Früchten des Baumes der Erkenntnis zu essen.“ Also ziehen sie weiter. Im Aufnahmecenter angekommen, betreten sie die Büroräumlichkeiten. „Hier beziehen wir unseren Nachschub“ klärt Eva Julia auf. Sie treffen auf einen Bürolisten der sich gerade mit einer Zigarre im Mund und einem Bier, das auf dem Pult steht, auf seinem Stuhl gemütlich gemacht hat.“Es ist so schrecklich wenn ich negative Entscheide treffen muss. Es belastet mich sehr und ich muss mich mit Zigarre und Bier beruhigen“ entschuldigt sich der Bürolist. „Wo sind die Dossiers mit den positiven Entscheiden“ fragt Eva. Er zeigt auf den grossen Tisch neben dem Fenster. Eva und Julia sichten die Dossiers: „Durch Sprengstoffgürtel, Intifada, Gotteskrieger, Drohne, Demo“ liest Eva laut vor. „Das ist mir zu gewöhnlich.“ antwortet Julia. „Bei Messerattacke, beim Steinewerfen gegen Soldaten.“ „Die sind mir zu jung“ wendet sie ein. „Oder möchtest du diesen Studenten mit den Folterspuren?“ „Das ist mir zu Eindeutig.“ „Da, der könnte zu dir passen, beim Abstieg von der Alp mit einer Kuhglocke in der Hand vom Felsen gestürzt.“ „Wie romantisch“ ruft Julia dazwischen. „Name: Urs, besondere Merkmale: Waschbrettbauch“ liest Eva laut weiter vor. „Den möchte ich mir anschauen.“ Der Gesuchte sitzt am Brunnenrand und streckt seine Beine in das kühle Wasser. „Dürfen wir uns zu dir setzen“ fragen sie, ohne die Antwort abzuwarten setzten sie sich links und rechts neben ihn und tauchen ihre Beine ebenfalls ins Wasser. „Angenehm kühl bei dieser Hitze“ beginnt Julia. Der neue Urs nickt nur. „Gefällt es dir hier“ fährt Eva fort. „Ich warte auf den Entscheid“ antwortet er. „Wir haben uns erkundigt und er ist positiv. Was willst du jetzt machen“ fährt Julia fort. „Ich weiss es nicht“.“Komm mit uns, wir benötigen einen starken Mann.“ Die beiden Frauen führen den neuen Urs ab. Mittlerweile ist es Mittag geworden und Zeit für eine Siesta. Im kühlen Schatten eines Apfelbaumes halten sie Rast. Eva pflückt eine Frucht und überreicht sie dem neuen Urs. Danach vergnügen sie sich zu dritt.


Während Julia ihren neuen Liebhaber abholt, steuert Lilith auf Romeo zu und ihre schwarzen Zöpfe hüpfen fröhlich auf und ab. „Du gehörst jetzt zu mir, haben wir einstimmig beschlossen“ verkündet sie. „Und Julia?“ „Sie ist eine von uns. Wir zwei machen eine Reise. Ich zeige dir einige Sehenswürdigkeiten.“ Sie klatscht in ihre Hände. Acht Knaben eilen mit einer Sänfte herbei. Die Beiden setzen sich hinein. „Nicht zu schnell, wir wollen die Landschaft geniessen“ befiehlt sie den schönen Knaben. „Zuerst besuchen wir einen Zoo und danach führt uns die Reise nach Neu Jerusalem. Dort findet ein Festival statt. Wir werden da übernachten“ eröffnet sie ihm. „Ich finde Zoobesuche langweilig“ wendet er ein. „Dieser wird dir gefallen.“ Sie gleiten gemächlich, getragen von den schönen Knaben, an jedem Ende der Sänfte zwei, vorbei an Sonnenblumenfelder, an Laub- und Pinienwälder, an Palazzi, durch die engen Gassen lieblicher Dörfer. „Wir sind da“ stellt Lilith fest. Der Zoo entpuppt sich als ein grosser Park von einem Maschendrahtzaun umsäumt. Am Eingang ist eine grosse Tafel mit der Aufschrift „Bitte nicht füttern“ angebracht. Durch die Drehtüre gelangen sie in den Park. Gemütlich spazieren sie entlang den markierten Wegen. Von Zeit zu Zeit treffen sie auf eine Raststätte mit Tischen, Bänken und einer Feuerstelle. Sie gelangen zu einem See. Am Ufer stehen Weiden, ihre Äste hängen bis zur Wasseroberfläche, mächtige Pappeln und Korkeichen. Im seichten Wasser liegen Nymphen und geniessen ein Sonnenbad. Plötzlich taucht ein Wassermann mit seinem Dreispitz auf, gibt ein lautes Grölen von sich und speit eine Fontäne in den Himmel. Dann verschwindet er wieder im See. Es kommt Bewegung in die Szenerie. Satyrn eilen auf die Nymphen zu. Diese verlassen fluchtartig das Wasser. Die Satyrn jagen ihnen nach und wenn einer eine Nymphe erwischt zwingt er sie zum Liebesspiel. Romeo und Lilith ruhen sich an einem der Rastplätze aus. Daneben steht ein Gebäude dessen Vorderfront von einer Säulengalerie geschmückt ist und unter dem üppigen wuchernden Efeu fast verschwindet. Auf der breiten Treppe die zu der Galerie führt sitzt ein Satyr . Er begleitet seinen Gesang mit seiner Laute. Die Ballade handelt von der tragischen Liebe zwischen einem Mäuschen und einem Elefanten. Ihm gegenüber auf einem Steinsockel sitzend, hören Undine und ihr Prinz, eine aufgedunsene Wasserleiche, andächtig zu. Mit schwankendem Gang nähern sich grölend Bacchus und eine Schar halbnackter Mädchen und Jünglinge und stören so seinen Gesang. Wütend wirft er seine Laute zu Boden und verschwindet zwischen den Säulen und dem Efeu. Romeo und Lilith wandern zu einem Berg. Sie beobachten wie Lastwagen Eisenerz von ihrer Brücke kippen. „Was machen die den“ fragt er. „Das wirst du gleich sehen“ antwortet sie. Aus Erdlöcher tauchen Heerscharen von Zwergen auf und führen das Erz ab. Es dauert nicht lange und ein dumpfes Grollen ist aus dem Berginnern zu vernehmen. Danach beginnt die Erde zu beben und etwas später speit er Feuer. Nachdem sie das Schauspiel genossen haben, beschliessen sie weiter zu reisen. Sie nähern sich einem mächtigen Gebirgszug, dessen Kamm mit Schnee bedeckt ist. „Dahinter liegt Neu Jerusalem“ erklärt Lilith. Die schönen Knaben tragen die Sänfte über die Serpentinen, die sich in engen Kurven nach oben winden. Immer wieder eröffnet sich ihnen ein herrlicher Ausblick auf die Bergwelt und das fruchtbare Land, dass sie soeben verlassen haben. Mal klebt die Strasse am steilen Felsen, mal zwängt sie sich durch diese. Die Strasse führt durch einen Tunnel, die Sonne hängt schon rot über dem Horizont und da am anderen Ende, wo die Strasse wieder ins Freie führt, breitet sich zu ihren Füssen ein grandioses Panorama aus. Unendlich viele Türme, Kuppeln und Dächer leuchten grünlich in der roten Abendsonne und das reflektierte Sonnenlicht vermischt sich mit den Lichtern der Stadt, „Neu Jerusalem“. „Aaaaa, alles Bernstein“ entfährt es Romeo. „Nein Glyzerinseife“ bemerkt sie trocken.


Was ist das für eine wunderliche Stadt? Werden sie diese Stadt je lebend wieder verlassen? Warum ist sie aus Glyzerinseife gebaut? In der Folge 5 erfahren sie mehr.

Folge 5


Romeo und Julia sind nach dem Genuss von Pilzen in einem Wald mit roten und blauen Fichten aufgewacht. Ein freundlicher Bär hat ihnen den Weg gezeigt. Im Hause des Colonel sind sie herzlich aufgenommen worden. Romeo hat Lilith kennen gelernt und sich mit ihr auf eine Reise begeben.


Bevor sie die Stadt betreten holt Lilith zwei Paar Steigeisen, wie man sie für Klettertouren benötigt, hervor. Sie reicht ihm ein Paar. „Befestige sie an deinen Schuhen, den der Boden ist hier äusserst glitschig.“ Sie wandern zum zentralen Platz. Nach den vier Himmelsrichtungen ausgerichtet stehen Sakralbauten, ein Dom, eine Synagoge, eine Moschee und ein Buddhatempel. Karusselle und ein Riesenrad drehen sich. Der Duft von Grillwürsten steigt in die Nase und in der Mitte des Platzes, unter den Ahornbäumen sitzen Künstler und fertigen auf Auftrag Porträts von den Touristen an. Da erscheinen Engel auf glühenden Motorräder sitzend, mit glühenden Schwerter bewaffnet, auf dem Platz. Sie pflügen eine Schneise in die Menschenmenge. Hinter ihnen folgen dicht der Allmächtige mit seinem Gefolge, allen verblichenen Päpsten, Buddha und Mohammed. Getreu dem Grundsatz „die Letzten werden die Ersten sein“ führt Johannes Paul der zweite die Päpste an. „Der Allmächtige begrüsst die bedeutenden Neuankömmlinge immer persönlich“ kommentiert Lilith das Geschehen. „Wo ist sein Sohn“ möchte Romeo wissen.“ „ Er hat ihm nie verziehen, dass er zum Christentum übergetreten ist.“ Romeo und Lilith stehen jetzt vor einer Säule auf der alle Veranstltungen angekündigt sind. Alle Sparten sind vertreten: Musik, Tanz, Theater, Poesie, Prosa. Auf einem Plakat steht: Pierre Boulez gibt sein Debüt. Auf einem anderen wird der Auftritt von Marek und Vacek für heute Abend angekündigt. „ Da gehen wir hin“ ruft Lilith begeistert aus. „Die kennst du nicht, das war vor deiner Zeit. Sie sind tödlich verunglückt.“ Nach dem Konzert steigen die Beiden auf einen Hügel. „Da oben ist die Hausbesetzerszene zu Hause. Sie haben bestimmt ein Zimmer frei“ erklärt Lilith. Sie betreten einen weitläufigen Palast. „Das haben sie alles besetzt?“ „Ja, und ich war auch dabei.“ Wer hat hier früher gewohnt?“ „ Der Allmächtige mit seiner Gattin. Das war zu der Zeit der Ausschaffungen. Jetzt ist er domestiziert, lebt im Zölibat und seine Gattin hängt als Skorpion am Firmament.“ Sie beziehen ein Gemach mit einer Veranda die auf eine Terrasse führt. Sie sitzen auf der Terrasse und geniessen den herrlichen Ausblick auf die Stadt mit ihren vielen Lichter. Ein Gewitter zieht heran. Schon fallen die ersten Tropfen. Sie ziehen sich in ihr Gemach zurück. Am nächsten Morgen, als sie auf die Terrasse treten sehen sie an Stelle der Stadt ein gewaltiges Loch, dass den Blick frei gibt auf die Erde, auf eine von einer Gerölllawine verwüsteten Alp. „Die Architekten möchten sich immer auf eine unmögliche Art selbst verwirklichen. Das letzte mal hat einer die Stadt mit Sulzpasteten erbauen lassen. Danach haben die Wölfe die ganze Stadt gefressen,“ erzählt Lilith.


Was bedeutet das Verschwinden der Stadt? Kündigt sich die Götterdämmerung an? Lesen sie die Folge 6

Folge 6


Was bisher geschah: Romeo und Julia sind in einem Wald mit roten und blauen Fichten aufgewacht. Von den Jungfrauen des Colonel sind sie herzlich empfangen worden. Julia hat einen neuen Liebhaber und Romeo unternimmt mit Lilith eine Reise.


„Wir kehren zurück. Vorher besuchen wir noch den wichtigsten Wallfahrtsort. Er ist in das Inventar des „Universal Kulturerbe“ aufgenommen worden“, verkündet Lilith. Der Ort ist ein Apfelbaum mit reifen Früchten. Eine Schlange reicht den Gläubigen Äpfel vom Baum. Die Wartenden strecken ihre Fotoapparate oder Handys in die Höhe und halten die Handlung zur Erinnerung fest. Lilith drängt sich durch die Menge und lässt sich von der Schlange eine Frucht geben. Mit der Bemerkung: „Alle Neuankömmlinge müssen davon essen,“ überreicht sie den Apfel Romeo. Um den Apfelbaum herum sind Marktstände aufgebaut. Da werden allerlei Souveniers und Süssigkeiten feil geboten. An einem Stand steht Gelateria angeschrieben. Hinter dem Stand enteckt Lilith ihre beste Freundin, eine üppige Brünette und ein etwas ungepflegter junger Mann mit Dreitagebart. Sie verkaufen ihre selbst gemachte Eiscreme. „Die haben die beste Eiscreme weit und breit. Das sind Leonore und ihr Liebhaber, William, ein begnadeter Schriftsteller. Sie ist eine richtige italienische Mama. An ihrer Stelle würde ich ihn viel straffer führen“, erklärt sie Romeo. Sie stellt ihm das Paar vor. Sie kommen ins Schwatzen. Lilith erzählt dass die Stadt wieder einmal zerstört ist und William berichtet von dem Buch, dass er geschrieben hat. Aber der Verlag glaube, es hätte noch einige Schwachstellen darin. Er sei nun daran es zu überarbeiten. „Je länger die Ewigkeit dauere je schwieriger wird es etwas Neues zu erfinden,“ meint dazu Lilith. Romeo und Lilith sind von ihrer Reise zurückgekehrt. Es ist Sonntag und alle Jungfrauen fahren mit ihren Liebhaber wieder einmal ans Meer. Da trifft Romeo auf Julia und ihren neuen Urs. Er erzählt ihr von der Reise, von der Übernachtung in der Hausbesetzerszene. „Was machen unsere Freunde“, sinniert Julia und Romeo meint: „Gerne würde ich mein Studium fortsetzen.“ Lilith tritt dazu und fragt Julia: „Möchtest du auch zurück?“ „Ich würde gerne mit Romeo gehen.“ Da verwandelt sie ihn in einen Steinbock und setzt die Jungfrau Julia darauf. Mit einer Weidenrute versetzt sie dem Steinbock einen kräftigen Hieb. Er rast über die Milchstrasse. Nur knapp entgeht er dem tödlichen Griff des Skorpions. Bei dem Ausweichmanöver stolpert er und stürzt. Romeo und Julia fallen vom Himmel.

Epilog


„Mein Kopf dröhnt und an zwei Stellen schmerzt er besonders“, klagt Romeo. „Du musst besser darauf achten wo du hin trittst“, bemerkt sie leicht spöttisch. „ Komm wir gehen.“ Sie nimmt Romeo bei der Hand und sie treten vor die Hütte. Das Gewitter hat sich verzogen aber von den Blätter tropft immer noch Wasser. Als sie nach Hause kommen, hat die Polizei um ihr Haus eine Absperrung errichtet. „Was ist den hier los“, fragen sie einen Polizisten. Er fragt: „Wohnt ihr hier?“ „Ja“ und sie zeigen auf das Haus. „Ihr seit verhaftet. Euch droht eine Anklage wegen Hausfriedensbruch.“ Der Polizist schleppt die Beiden zu einem Gefängniswagen und zwingt sie einzusteigen. Da sitzen schon ihre Freunde. „Wo seit ihr gewesen?“ Romeo und Julia deuten ihnen zu schweigen. Sie werden zum Polizeihauptquartier gebracht. Weitere Gefängniswagen speien Verhaftete vor dem Polizeigebäude aus. Die Eingangshalle füllt sich. Die Polizisten befehlen: „Alle persönlichen Gegenstände auf den Tisch legen, nackt ausziehen und mit dem Gesicht zur Wand sich davor stellen, Beine spreizen und Arme in die Höhe halten“. Die jungen Leuten weigern sich sich auszuziehen.. Ein Tumult bricht aus. Einer ruft: „Wir werden an die Öffentlichkeit gehen und wegen Misshandlung klagen.“


Romeo und Julia werden zum Verhör geführt. Hinter dem Pult sitzt Polizeikommissär Sepp Wäckerli. „Ihr sind seit drei Jahren als vermisst gemeldet. Wo seit ihr gewesen?“ „Wir haben einen antifaschistischen Mondspaziergang gemacht.“ „Wo?“ „Auf dem Mond natürlich“. „Und das da ist auch auf dem Mond?“ Wäckerli schiebt eine Aufnahme über den Schreibpult. Darauf ist eine Person abgebildet, die Julia täuschend ähnlich sieht, daneben eine schwarze Flagge und im Hintergrund Sanddünen. Julia sieht die Foto an und sagt kühl: „Das bin nicht ich, die hat ja Hängebrüste.“ „Da kann man künstlich nachhelfen,“ entgegnet er. Julia steht auf, zieht die Bluse aus und streckt ihre Wäckerli entgegen. „Die sind voll und rund, mit einer Haut so zart und fein wie die eines Pfirsichs, keine Narbenspuren, die werden nie hängen, alles pure Natur,“ preist sie ihre Brüste an. Polizeikommissär Sepp Wäckerli sitzt bocksteif auf seinem Bürostuhl und schaut gebannt auf Julias Brust. Nach einigen Minuten sagt er: „Du kannst die Bluse wieder anziehen.“ Er steht auf öffnet die Tür, die in den Flur führt, und ruft seinen Kollegen zu: „Die zwei sind aus der Untersuchungshaft entlassen!“ Nachdem Romeo und Julia das Büro verlassen haben bucht Wäckerli sofort einen Nachtdienst bei Heidi und meldet sich bei seiner Frau für das Abendessen ab. Weit nach Mitternacht kommt er nach Hause. Als er im Schlafzimmer das Licht andreht wacht seine Frau auf. „War's streng,“ fragt sie und er antwortet:“Sehr,“ macht das Licht aus und schlüpft ins Bett. Merkwürdig: Die Zwei sind drei Jahre lang abgetaucht und haben keine Spuren hinterlassen. Dann diese Fotos, mit den schon fast himmlisch anmutenden Panoramaaufnahmen einer grünlichen Stadt in der roten Abendsonne und diese mit dem Apfelbaum auf der eine Schlange sitzt und an eine wartende Menschenmenge Äpfel verteilt, die sie auf dem Handy von Romeo gefunden haben und der Nachrichtendienst kann sie beim besten Willen keinem Ort zuweisen. Diese Julia hat wirklich ganz andere Brüste wie die auf der Aufnahme. Diese Brüste, diese Pfirsichbrüste, wie im Paradies, denkt er. Dann schläft er ein.


Zur selben Zeit: Julia steigt, sie haben bis zur nächsten Hausbesetzung in der Schwulenszene Unterschlupf gefunden, auf Romeo. „In Zukunft machen wir es immer so wie auf der Milchstrasse,“ sagt sie. „Wie meinst du das?“ „Du bist unten.“




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